Wie Sturztraining effektiv wird & welchen Fehler du vermeiden solltest

Angst vorm Stürzen? Dann musst du nur mal richtig reinfallen… dann merkst du, dass nichts passiert und dann passt das schon…..Ähhh, nein!
Genau diesen Fehler machen viele Kletterer und – so leid es mir tut – auch Trainer, denen vielleicht etwas an Erfahrung fehlt mit dem Thema Sturztraining, oder die davon überzeugt sind, dass Schocktherapie am besten funktioniert.
Genau hier kommen aber viele Kletterer nicht weiter. Sich einen Meter über den Haken zu stellen und dann loszulassen, ist ein solches Horrorszenario und löst Schweißausbrüche und Herzrasen aus, dass sie schon restlos überfordert sind.

Deshalb möchte ich in diesem Artikel darauf eingehen, worauf man achten sollte, um ein Sturztraining wirklich sinnvoll aufzubauen, sodass man Fortschritte macht und sich nicht in ständigem Überforderungsbereich befindet.

 

Der häufigste Fehler beim Sturztraining:
Schocktherapie-Methode

Für manch einen mag das Konzept der Schocktherapie funktionieren…. Aber meiner Erfahrung nach ist das für die wenigsten der Fall.
Leider fehlen hier dann andere Lösungsansätze. Besonders, wenn man das Sturztraining eigenständig ins Klettern einbauen möchte… Sieht man doch oft genug andere Seilschaften, die sich einfach ohne weiteres ins Seil fallen lassen bzw. bis an der Sturzgrenze klettern. Das suggeriert recht schnell, dass Stürze, damit man sich an sie gewöhnt, weit sein müssen.
Sturztraining wird entsprechend in den meisten Köpfen mit „richtig schön reinkacheln“ verbunden.
Allerdings steckt im Wort Training schon der eigentlich sinnvollere Aufbau drin.
Training ist die „planmäßige Durchführung eines Programms von vielfältigen Übungen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit“

Vielfältig und planmäßig! Hinter einfach reinfallen lassen steckt kein wirklicher Plan. Das ist lediglich ein Schritt von vielen.

Wie also sieht nun ein sinnvolleres Konzept fürs Sturztraining aus?Frau Sturz beim Klettern auf Kalymnos

Tatsächlich hilft zur Erklärung und Verbildlichung sehr gut das 3 Zonen Modell der Erlebnispädagogik.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich kurz bei der lieben Melli von der Kletter-Werkstatt bedanken, die mich vor ein paar Jahren mit dem Konzept der 3 Lernzonen & dem Zusammenhang zum Sturztraining vertraut gemacht hat.

Das Modell beschreibt drei verschiedene Zustände, in denen sich Menschen befinden können wenn es um Lern- und Veränderungsprozesse geht.
Sturzangst abbauen ist ein solcher Lernprozess und mit Kenntnis des Modells ist die Herangehensweise ans Sturztraining und den Angstabbau absolut klar…..

Zunächst mal zum Modell:

Die Grundannahme des Modells ist, dass sich jeder Mensch in drei verschiedenen Zonen bewegt.

Im Innersten liegt die Komfortzone.

Ist ein Mensch im Zustand der Komfortzone, so fühlt er sich sicher, wohl, den Aufgaben gewachsen und kennt sich aus. Ganz egal ob es um Umgang mit Menschen, Aufgaben auf der Arbeit, neue Bewegungen, Reisen oder sonstwas geht.
Im Bereich der Komfortzone finden sich die jeweiligen Kompetenzen des Menschen und normalerweise besitzen Menschen in dieser Zone eine gute Selbstsicherheit.

 

Wenn wir etwas Neues lernen, uns in neue Situationen begeben etc., erfordern diese Situationen häufig Handlungen, Aufgaben, Bewegungen, mit denen wir nicht oder nur sehr bedingt vertraut sind.

Wir kommen in unsere Lern- oder Wachstumszone.

In dieser Zone sind wir mit Neuem konfrontiert. Innerlich machen sich Unsicherheit, Aufregung und ein Gefühl von Vorsicht breit.
Wir wissen, dass die Situation Risiken birgt und versuchen Strategien zu entwickeln um diese neuen Herausforderungen zu meistern.
Gelingt dies und können wir die neuen Strategien mehrfach erfolgreich anwenden und kommen in den Situationen zurecht, so erweitert sich unsere Komfortzone um die entsprechenden Erfahrungen.

Anders sieht es aus, wenn Menschen in den Bereich der Panikzone geraten.

Horrorszenario – die Panikzone

In diese Zone kommen wir, wenn wir uns vollkommen „lost“ fühlen. Ein ganz klares Bild ist, wenn wir uns ein Kind vorstellen, dass durch einen unglücklichen Zufall die Eltern im Kaufhaus, der Stadt, oder dem Freizeitpark verloren hat und mutterseelenallein durch die Gegend wandert.
Die Situation wird als bedrohlich empfunden, wir sind mit dem Gefühl der Überforderung und starker Angst konfrontiert. Entsprechende körperliche Symptome machen sich breit: Schweißausbrüche, zittern, Schnappatmung, ein hoher Puls…
Unser System ist im Stress.
Selbst, wenn wir diese Situation meistern, stellt sich danach eher kein positives Erlebnis ein, weil wir die Situation mit einem Überlebenskamp in Verbindung setzen.

 

Nehmen wir noch ein weiteres Beispiel zur Veranschaulichung:

Jemand, der schon viel gereist und geflogen ist, ist beim Abflug in seiner Komfortzone und liest entspannt sein Buch, während ein anderer Mensch, der noch nie geflogen ist, vielleicht in der Lernzone ist und sich etwas unsicher fühlt. Ein dritter, der vielleicht Flugangst hat, oder schonmal schlechte Flugerfahrungen gemacht hat, rutscht beim Besteigen des Fliegers vielleicht schon in die Panikzone ab…

Jeder Mensch ist anders, je nach den bisherigen Erfahrungen und was für ein Typ er/sie ist.

 

Umsetzung beim Klettern & Sturztraining

Was hat jetzt dieses Modell mit Sturztraining und dessen Aufbau zu tun?
Nun, die meisten Menschen, die schonmal versucht haben Sturztraining zu machen und dabei probiert haben sich von weit oben fallen zu lassen und denen das nicht geholfen hat, werden sich höchstwahrscheinlich im Bereich ihrer Panikzone befunden haben.
In diesem Bereich ist nicht nur lernen nicht möglich, sondern der Kopf verknüpft das Erlebte eher mit Gefahr und man macht eher noch Rückschritte.

Wenn wir dieses Modell nutzen um einen sinnvollen Aufbau vom Sturztraining zu gewährleisten, dann geht es generell darum sich während des Sturztrainings im Bereich der Lernzone aufzuhalten und keinesfalls in den Bereich der Panik zu rutschen!

Das Grundkonzept ist also, sich zwar zu fordern (raus aus der Komfortzone), aber nicht zu überfordern.
Dafür braucht es Kontakt mit sich selbst, Achtsamkeit und Geduld und keine Hauruck- Strategie.

Sturztraining in mehreren Stufen

Man sollte immer mit einer Stufe des Sturztrainings anfangen, die im eigenen Komfortbereich liegt. Jeder weiß, dass man den Körper aufwärmen sollte bevor man schweres körperliches Training absolviert.
Das gilt genauso fürs Stürzen und den Kopf. Erstmal „warmstürzen“ ist angesagt.
Für den einen bedeutet eine Komfortstufe zum warmmachen „reinsetzen im Toprope“, für den anderen ein „Sturz 40cm oberhalb der Exe“, oder oder.
Das ist so individuell und hängt vor allem damit zusammen, welches Risikoempfinden jemand hat und wie viel Erfahrung mit Stürzen schon gemacht wurden und welche (positiv oder negativ).
Jeder weitere Schritt nach dem Warmstürzen ist dann so klein zu wählen, dass man sich langsam vorarbeitet.

Die Devise um vorwärts zu kommen ist: Stürze und Sturzhöhen zu wählen, bei denen man schon etwas gefordert ist und eine gewisse Aufregung spürt, aber die noch machbar sind und man nicht erst 30 Sekunden gegen die Angst anreden oder ankämpfen muss, bevor man es schafft loszulassen…
Außerdem sollte man immer bedenken, dass jeder Sturz mental herausfordernd ist.
Von Stürzen im Toprope mit weniger & mehr Schlappseil, über Stürze im Vorstieg auf Exenhöhe und dann langsames vorarbeiten oberhalb der Exe, bis zu versetzten Stürzen, oder Stürze beim clippen.
Jeder Stufe ist immer mehrfach auszuführen, sodass der Kopf & der Körper sich daran gewöhnen können.

Um eine Überforderung zu vermeiden sollte im Anschluss an einen Sturz deshalb immer wieder in sich reingespürt werden: wie fühle ich mich gerade, wie aufgeregt und angespannt bin ich? Es gilt erst einmal wieder aktiv durchzuatmen, um die Aufregung abzubauen und dann zu entscheiden ob das Anregungsniveau noch einen weiteren gleichen Sturz verkraftet, oder ob man besser Pause macht, wechselt und bei der nächsten Tour dann nochmal ein paar Stürze macht.
Der Kontakt zum eigenen Erleben, den eigenen Emotionen und der Innenwelt ist einfach extrem wichtig.
Sich über eine eigene Grenze drüber zu pushen (oder von jemandem pushen zu lassen) – ganz egal aus welchem Grund- macht einfach keinen Sinn, weil wir dadurch meist eher Rückschritte machen, oder für den Tag dann komplett fertig sind.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Wiederholung!

Zu schnelles erweitern der Sturzhöhe führt genauso zur Überforderung.
Jede einzelne Stufe (Sturzhöhe) sollte so oft wiederholt werden, bis man sich mit der Sturzhöhe schon um einiges wohler fühlt.
Die Höhe, die einem gut gelingt wiederholt man mehrfach und spürt dann in sich rein, ob man sich vielleicht noch einen Zug weiter traut.
Auch ist wichtig, nicht zu erwarten, dass man beim nächsten Sturztraining wieder an exakt die gleiche Sturzhöhe anknüpfen kann.
Bei jedem Sturztraining gilt es einen guten Einstieg zu finden, eine gute Einstiegssturzhöhe, mit der man sich an dem Tag wohl fühlt und sich von dort wieder voranzutasten.

Auch ist jeder Tag anders und Klettern ist nie isoliert zu betrachten von dem was sonst so am Tag passiert. Ist der Körper die Woche, oder den Tag schon mit viel Stress konfrontiert gewesen, oder ist man emotional aufgewühlt, fängt man vielleicht wieder von ganz vorne an.

Schlussendlich geht es darum ein Gespür für die eigene Wachstumszone zu bekommen und sein Sturztraining an dieser auszurichten!
Da beim Sturztraining auch andere Faktoren als die Sturzhöhe mit reinspielen, wie bspw. der Kletterpartner, sind auch diese Gründe für Sturzangst beim Klettern zu beachten.
So kann es sein, dass die eigene Wachstumszone sehr viel früher beginnt, wenn man mit einem anderen Kletterpartner unterwegs ist, als sonst.

Wenn man gut im Kontakt mit sich ist und mit etwas Geduld und feinfühlig die eigene Komfortzone ausweitet, so ist erfahrungsgemäß das Sturztraining um einiges erfolgreicher und außerdem kein Horrorszenario mehr.
Allerdings nur, wenn man kontinuierlich und wiederholend positive Sturzerfahrungen macht und sich so vorwärts arbeitet. Jede schlechte Sturzerfahrung, z.b. durch einen harten Anprall, unerwarteten weiten Sturz, oder andere Faktoren ist ein setback.
Falls du oder dein/e Kletterpartner/in häufiger hart in die Wand prallt, solltet ihr euch dringend mit dem Thema Weiches Sichern beschäftigen.
Gutes Sichern von Stürzen ist einer der wichtigsten Punkte um ein effektives Sturztraining absolvieren zu können!

Und wenn dann alles passt lässt man, ehe man es sich versieht, auch den Umlenker jedes Mal aus und übt so kontinuierlich das Stürzen.
(Oder eben auch nicht, wenn das nicht in der Wachstumszone ist 😉 )

Soweit von mir.

Ich hoffe der Artikel ist hilfreich und anwendungsbezogen für dich, sodass auch du dein Sturztraining nun effektiver gestalten kannst und vielleicht nimmt er dir ja auch ein wenig die Angst vor dem Sturztraining.
Falls du dir ein angeleitetes Sturztraining mit Trainerinput wünscht, oder das richtige Sichern von Stürzen noch üben möchtest freue ich mich sehr über deine Nachricht an mail<at>aletta-bunge.com.
Ansonsten lass mich gern in den Kommentaren wissen, wenn dir der Artikel geholfen hat.

Alles Liebe und viel Spaß beim Flugmeilen sammeln,

Deine Aletta

Aletta Portrait draußen

 

 

 

 

 

Bildcredit:

Falls dir der Beitrag geholfen hat, interessant war, du ihn wertvoll fandest, oder einfach denkst, dass er für jemanden relevant sein könnte kannst du ihn hier teilen:

 

Bleib dran!

Erhalte regelmäßig Tipps & Impulse rund um die Themen:
Besser Klettern
Sturzangst & Mentales
Reisen

Erfahre mehr zum Newsletterversand in der Datenschutzerklärung.

Related Posts

Leave a Reply